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Beruflich Trainer, privat Profiturner: Piet Hellmich im Interview

Piet Hellmich über seine Turnkarriere im Interview

"Es braucht eine Menge Disziplin und Koordination."

Betriebsleiter und Trainer Piet Hellmich aus dem VERSO Denzlingen hat mit uns im Interview über seine Karriere als Profiturner gesprochen. Darin verrät er Ihnen unter anderem, wie bei ihm ein typisches Training aussieht, welches Gerät er so gar nicht mag und welche Eigenschaften man mitbringen sollte, um ein guter Turner zu werden.

Hallo Piet, Du bist Betriebsleiter vom VERSO Denzlingen und nebenbei professioneller Turner. Seit wann turnst Du und wie kamst Du zum Turnen?

Insgesamt bin ich in drei Vereinen tätig. Ich habe im Alter von sechs Jahren beim TV Rheinfelden, meinem Heimatverein, mit dem Turnen angefangen. Mit etwa 13 Jahren ist es dann ernster geworden. Von da an hatte ich fünfmal die Woche Training in einer Turnhalle in Saint-Louis in Frankreich, in der man nur mit einem Aufnahmetest trainieren kann. Der nächste Schritt war dann die höhere Liga. Deshalb bin ich seit Herbst 2020 zusätzlich bei der TG Hanauerland. Das ist eine Zusammenschließung aus vielen Vereinen, die in der 2. Bundesliga turnt. 

Wie sieht ein typischer Trainingstag bei Dir aus?

Das ist immer unterschiedlich. Jedes Training beginnt damit, die verschiedenen Muskelgruppen warmzumachen, sich zu dehnen und die Basics wie Handstand zu machen. Eine gute Beweglichkeit ist extrem wichtig, das trainiert man schon seit Kindesalter. An den Geräten trainiert man dann die Teile, die man üben möchte. Anschließend gibt es noch ein Krafttraining und am Ende dehnt man aus. 

Grundsätzlich besteht Turnen daraus, einzelne Elemente so oft zu wiederholen, bis man sie perfektioniert hat. Wenn man zum Beispiel einen Rückwärtssalto lernen möchte, dann fängt man nicht direkt mit einem Rückwärtssalto an. Man beginnt mit einer Rückwärtsrolle, und im nächsten Schritt geht’s dann auf das Trampolin. Bis man schlussendlich auf dem Boden einen Rückwärtssalto kann, vergeht eine Menge Trainingszeit. 

Trainierst Du allein in der Halle?

Ich trainiere in der Regel immer mit einem Trainer. Die Verletzungsgefahr ist bei manchen Übungen besonders hoch, und es wäre daher leichtsinnig, sich allein in der Halle aufzuhalten. Der Trainer schaut sich zudem an, was ich mache, und gibt mir dann direkt eine Rückmeldung. Wir arbeiten außerdem viel mit Videoanalysen. In manchen Turnhallen hängen an den Wänden große Bildschirme und überall sind Kameras aufgestellt, die jeweils ein Gerät filmen. Der Turner geht an das Gerät, macht seine Übung, geht dann zum Bildschirm und kann sich von dort selbst anschauen und erkennen, was er gerade falsch oder richtig gemacht hat. 

Betriebsleiter und Turner Piet Hellmich macht einen Spagat im VERSO Denzlingen

Hast Du Dich schon mal ernsthaft verletzt?

Verletzungen sind alltäglich im Turnen, aber es handelt sich dabei meistens um schleichende Verletzungen wie beispielsweise ein Schulter Impingement. Ich selbst habe oft Probleme mit der Wadenmuskulatur, weil ich einen Senkfuß habe. Wenn ich den Fuß extrem belaste, macht sich das irgendwann bei den Gelenken und Muskeln bemerkbar. Ernsthaft verletzt habe ich mich aber noch nie. 

An welchen Geräten turnst Du?

Es gibt insgesamt sechs Geräte: Boden, Sprung, Barren, Reck, Pauschenpferd und Ringe. Bei den Deutschen Meisterschaften zum Beispiel muss man alle sechs Geräte turnen, um eine gewisse Punktzahl zu erreichen. Wenn ich ein Gerät auslasse, dann verpasse ich Punkte und es ist für mich gar nicht mehr möglich, eine gute Platzierung zu holen. In der Bundesliga turnen immer vier Turner pro Mannschaft gegen vier Turner der anderen Mannschaft. Und dann werden die besten vier an dem jeweiligen Gerät ausgewählt. Es gibt Turner, die turnen an allen sechs Geräten sehr solide und werden an allen Geräten eingesetzt. Es gibt aber auch Spezialisten für bestimmte Übungen, die sich auf maximal drei Geräte fokussieren. Ich persönlich turne alles, weil ich auch Einzelwettkämpfe turne 

Was ist Dein Lieblingsgerät?

Mein Lieblingsgerät ist Boden, da bin ich Spezialist. Das Pauschenpferd mag ich hingegen gar nicht. An diesem Gerät bin ich im Vergleich zum Rest der Mannschaft deutlich schlechter. Dementsprechend macht es keinen Sinn, mich bei Wettkämpfen an diesem Gerät einzusetzen. Innerhalb der Mannschaft gibt es dafür sogar einen Taktiker, der sich nur darum kümmert, welchen Turner er bei welchem Gerät einsetzt. 

Piet Hellmich beim Turnen im VERSO Denzlingen

Was genau muss man sich unter dem Gerät “Boden” vorstellen?

Am Boden gibt es Akrobatikelemente oder bodennahe Elemente. Eine Folge von Akrobatikelementen wäre zum Beispiel: Man rennt an, macht eine Radwende und einen Flickflack und hängt dann noch einen Doppelsalto dran.  

Welche Eigenschaften muss man Deiner Meinung nach als Turner*in mitbringen?

Auf jeden Fall eine Menge Disziplin und auch Koordination. Zudem ist es ungünstig, wenn ich grundsätzlich eher der Typ Körperklaus bin (lacht). Ansonsten spielt der Körperaufbau eine nicht ganz unbedeutende Rolle. Ich selbst bin mit 1,71 m eher klein, aber tatsächlich schon etwas größer als der Durchschnittsturner. Wenn man kleiner ist, ist man wendiger und schnittiger und kann den Körper einfach besser und schneller einsetzen.  

Du nimmst gerade an einem Wettkampf teil. Welcher ist das?

Das ist mit der Mannschaft, die 2. Bundesliga hat mit der ersten Vorrunde begonnen. Bei den Vorrunden turnt dann Verein gegen Verein. Die Vereine werden dann deutschlandweit in Nord und Süd aufgeteilt. Das heißt, dass zunächst die Vereine im Süden und die Vereine im Norden jeweils gegeneinander antreten. Anschließend turnen die Besten aus den jeweiligen Hälften nochmals gegeneinander. 

Wie bereitest Du Dich auf einen solchen Wettkampf vor?

Die Wettkampfvorbereitung ist im Grunde nichts anderes als die ganze Zeit die Übungen zu wiederholen. Ein bis zwei Monate vor dem ersten Wettkampf beginnt man damit, die einzelnen Elemente zusammenzusetzen. Dafür ist eine gute Ausdauer gefragt, vor allem Kraftausdauer. Und natürlich muss der Kopf das alles verarbeiten können, denn man muss sich auf jedes Element konzentrieren. Primär trainiere ich dafür in den Turnhallen. Im Bereich Krafttraining trainiere ich ab und an auch hier im Studio. 

Bist Du noch aufgeregt vor Wettkämpfen?

Klar, man ist immer aufgeregt vor einem Wettkampf. Innerhalb der Bundesliga spielen wir zwar in der Mannschaft, aber es ist trotzdem eine Einzelsportart. In dem Moment, wo ich am Gerät stehe, bin ich auf mich allein gestellt und mir kann niemand mehr helfen. Da ist der Druck auf jeden Fall hoch. Jeder bereitet sich auf solche Momente unterschiedlich vor. Vor Wettkämpfen mache ich mir gerne Musik rein, die mich motiviert oder mich ein bisschen runterbringt. 

Turner und Betriebsleiter Piet Hellmich im Kursraum beim Turnen

Was sind Deine Höhepunkte in Deiner Turnkarriere?

Wir sind einmal mit der Mannschaft Dritter bei der Französischen Meisterschaft geworden. Bei der Deutschen Meisterschaft bin ich in meiner Altersklasse im Einzelkampf 13. geworden, ebenso bei der Deutschen Jugendmeisterschaft. Und ich war baden-württembergischer Vizemeister am Barren 

Welche Ziele hast Du für Deine zukünftige Turnkarriere? Gibt es etwas, auf das Du hinarbeitest?

Aktuell liegt der Fokus natürlich hier auf der Arbeit. In der Schule war das zum Beispiel anders (lacht). Da musste ich mir oft Sondergenehmigungen einholen, damit ich nicht in die Nachmittagsschule musste. Momentan habe ich nicht vor, extrem viel besser zu werden, weil das zeitlich erst mal gar nicht möglich ist. Aber ich fände es natürlich schön, wenn ich weiterhin in der Bundesliga bleiben könnte. Und vielleicht steigt die Mannschaft auch mal in die 1. Bundesliga auf, weil: Einmal in der 1. Bundesliga turnen wäre schon ein Traum 

Welchen Rat würdest Du jungen aufstrebenden Turner*innen mitgeben, die ihre Karriere verfolgen möchten?

Sie sollten die Schule nicht so vernachlässigen wie ich das gemacht habe (lacht)! In der Pubertät war ich auch schon mal einen Punkt, wo ich kurz davor war, aufzuhören. Ich musste fünfmal pro Woche trainieren und hatte kaum Zeit für meine Freunde. Mein Trainer hatte mir dann mehr Freiheiten gegeben und damit den Druck rausgenommen. Meiner Meinung nach ist es nämlich wichtig, dass man sein Privatleben nicht zu sehr vernachlässigt. Grundsätzlich sollte Spaß ein wichtiger Faktor bei der ganzen Sache sein. Wenn es dann in den Leistungsbereich geht, scheitern die meisten an dem hohen Druck, den sie sich selbst machen. 

Vielen Dank Dir für dieses spannende Interview und den Einblick in Dein Hobby, Piet!